Fällt es dir als Frau immer wieder schwer deine Grenzen setzen und auch mal Nein sagen zu können? Hast du in deinem Leben Grenzüberschreitungen erlebt?
Erfahre mehr über mögliche Ursachen, Konsequenzen und was du tun kannst.
Frauen und Grenzen
Sagst du nichts oder Ja, wenn du eigentlich Nein sagen möchtest?
Spürst du, dass da etwas in dir ist, das sich einfach nicht getraut oder dich zögern lässt deine Grenzen klar mitzuteilen? Merkst du, dass dir etwas nicht wirklich gut tut und tust es trotzdem? Oder du realisierst erst später, dass sich etwas gar nicht gut angefühlt hat?
Da bist du nicht alleine, denn das geht vielen Frauen so!
Viele von uns haben in ihrem erwachsenen Frauenleben ihre eigenen Grenzen immer wieder überschritten oder jemand anders hat sie bei uns überschritten. Zuweilen merkt man es sofort, manchmal aber auch erst Monate oder Jahre später.
Seine eigenen Grenzen nicht zu spüren oder sie nicht setzen zu können, obwohl man sie spürt, ist von viel grösserer Tragweite, als wir es uns vielleicht eingestehen wollen.
Wir sind nicht klar: Weder in uns selbst, noch nach aussen. Deshalb fällt es uns schwer, uns klar mitzuteilen und unserem Gegenüber eine Orientierung geben. Das hat Auswirkungen auf unsere Liebesbeziehungen, darauf wie wir mit unseren Kindern umgehen, was wir ihnen vermitteln und auch wie Menschen mit uns umgehen.
Was könnten nun Gründe dafür sein, dass «Grenzen setzen» uns so schwer fällt?
Keine Grenzen setzen können – mögliche Ursachen
Grenzen in der Ursprungsfamilie
Ob wir das wollen oder nicht: Vieles, was wir als Kinder in unserer Familie erlebt haben, wirkt auch noch in unserem Erwachsenenleben.
Es kann z. B. sein, dass du in einer Familie aufgewachsen bist, in der …
- unachtsam mit deinen Grenzen umgegangen wurde
- du kein Anrecht hattest auf deine eigenen Grenzen und andere darüber bestimmten
- mindestens ein Elternteil seine eigenen Grenzen nicht wahren konnte und du dies (obwohl du es gerne anders machen würdest) übernommen hast
- ein Elternteil nicht voll in seiner Kraft und Verantwortung war, was dich als Kind einiges von dieser Verantwortung übernehmen liess, so dass du über deine eigenen Grenzen gegangen bist
All das könnte in dir Muster verankert haben, die es dir heute schwer machen, deine Grenzen zu wahren.
Grenzverletzungen aus Angst nicht zu genügen
Diese Angst ist leider weit verbreitet, weil unsere Gesellschaft auf vielen Ebenen extrem leistungsorientiert ist.
Wir werden über Werbung, Videoclips von Influencern, Magazine, Zeitungen, Serien, Computergames, etc. dauernd mit Informationen «gefüttert», die uns vorgeben wie wir sein sollten, was wir «unbedingt» besitzen müssten.
All diesen Erwartungen nicht zu entsprechen (und wer kann das schon?), kann sehr schmerzhaft sein und lässt uns unsicher werden, ob wir richtig sind, so wie wir sind. Aus dem heraus tun wir zuweilen Dinge oder treffen Entscheidungen, die uns gar nicht gut tun.
Aber wem überlassen wir hier eigentlich das Festlegen solcher Werte? Und sind dies überhaupt Werte, für die es sich lohnt seine Grenzen auf ungute Art und Weise zu überschreiten?
Was braucht es eigentlich um glücklich und selbstbestimmt zu sein?
Grenzüberschreitungen aus Mitgefühl
Wenn man liebt, ist man zuweilen auch bereit Opfer zu bringen und über die eigenen Grenzen zu gehen. Man spürt die Bedürfnisse anderer Menschen und aus Liebe setzt man deren Wohl über das eigene.
Zum Beispiel kann es sein, dass man dem Partner zuliebe über seine eigenen Grenzen geht. Einfach weil man meint oder spürt, dass er etwas von einem braucht oder weil man Angst hat ihn vor den Kopf zu stossen. Oft weiss der Partner gar nichts davon, weil wir es nie kommuniziert haben und fällt aus allen Wolken, wenn es dann mal ans Licht kommt. Es kann sein, dass er sich dadurch in seinen eigenen Grenzen nicht respektiert fühlt, obwohl die Grenzüberschreitung in bester Absicht geschah. Wenn so etwas passiert, braucht es unbedingt eine Klärung.
Handlungsunfähigkeit in der Erstarrung
Wenn wir uns in Gefahr wähnen oder Stress auftritt, kann das Reptilienhirn uns ins Notfallprogramm Erstarrung bringen. Dies ist keine bewusste Entscheidung, sondern wird in Sekundenbruchteilen ausgelöst (hier gibt es ein Video, in dem die einzelnen Notfallprogramme erklärt werden). In der Erstarrung können Teile unseres Gehirns lahm gelegt werden. Es kann sein, dass wir uns kaum mehr bewegen und auch nicht mehr sprechen können. In diesem Zustand sind das Mitteilen und Wahren von Grenzen absolut unmöglich.
Haben wir in der Vergangenheit Trauma erfahren (z. B. durch Übergriffe körperlicher Art), besteht die Gefahr, dass wir viel schneller in der Erstarrung landen und Grenzüberschreitungen nur sehr schlecht oder gar nicht verhindern können. Das kann weitere Traumatisierungen verursachen und die Lebenssituation immer schwieriger machen.
Grenzen und unsere Geschichte als Frauen
Einiges, was schon lange her ist , kann noch in uns Frauen wirken. Einfach weil sich Gewohnheiten und Ansichten nicht so schnell verändern, wie uns das lieb wäre und auch weil Vieles unbewusst ist. Mütter geben es an ihre Töchter weiter und diese wiederum an ihre eigenen Töchter.
Was einige junge Frauen vielleicht nicht wissen: Es ist noch gar nicht so viele Generationen her, da hatten Frauen kein Anrecht über sich selber zu bestimmen. Sie gehörten ihrem Vater, der bestimmte ob und welche Ausbildung sie erhielten, wie sie sich zu benehmen hatten und wen sie heirateten. Bei ihrer Heirat, gingen sie in den Besitz ihres Mannes über und der bestimmte dann über ihren Körper: als Arbeitskraft, als Mutter seiner Kinder, als Sexualpartnerin, usw.
Frau kann sich gut vorstellen, wie schwer in so einem Umfeld ein «Nein» war. Ein «Nein» konnte bedeuten, verstossen zu werden und jegliche Unterstützung zu verlieren. Oder man landete, weil man zu unbequem war oder daran zerbrach, in der Irrenanstalt (wie Emilie Kempin-Spyri, die erste Juristin der Schweiz).
Diese Zeiten sind zwar vorbei und jede Generation entwickelt wieder Neues, aber in unseren Zellen steckt möglicherweise immer noch die Frage: «Haben wir das Recht Nein zu sagen?»
Arten der Grenzüberschreitung
Wie Grenzen überschritten werden ist vielfältig:
- Wir spüren unsere Grenzen selber nicht und können sie deshalb auch nicht mitteilen
- Die Grenzen wären eigentlich spürbar, aber wir getrauen uns nicht, für sie einzustehen oder wir erstarren
- Grenzen werden überschritten, obwohl sie kommuniziert wurden oder klar sind (durch Ausüben von Macht, Ignorieren, Manipulation, Gewalt, Drogen, Erpressung, etc.).
Ich möchte mich in diesem Artikel demjenigen Teil widmen, auf den wir am meisten Einfluss haben: Nämlich unsere Grenzen selber zu erspüren und für sie aktiv einzustehen. Das heisst, dass wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, was es eigentlich bedeutet ein Bestimmungsrecht über den eigenen Körper zu haben. Ein Anrecht darauf zu entscheiden, dass unser eigenes Wohl an erster Stelle stehen darf.
Es geht darum «in die Schuhe zu stehen»! Verantwortung zu übernehmen!
Aufzuhören Grenzverletzungen zu entschuldigen oder sie sich schön zu reden.
Verantwortung
Als Frauen haben wir eine lange Geschichte von Grenzverletzungen und deshalb geht es nicht nur um uns selber: Wir tragen auch eine Verantwortung in Bezug auf alle anderen Frauen. Z. B. für junge Frauen, die Vorbilder haben sollten, wie man auf eine gute Art und Weise Grenzen kommuniziert.
Es geht darum, dass sich endlich nachhaltig und flächendeckend etwas verändern sollte! Und diese Veränderung hat nicht nur mit geltendem Recht zu tun, sondern es ist eine innere Haltung und die Fähigkeit zu vermitteln, wo die eigenen Grenzen sind. Jede Frau, die das schon kann oder sich dran macht, das in sich zu entwickeln, trägt ihren Teil dazu bei, dass sich gesellschaftlich etwas verändert.
Es kann zum Beispiel nicht sein, dass die Pornoindustrie uns vorgibt, was man als junge, noch unerfahrene Frau alles sexuell schon können und machen müsste. Damit man eben «cool» ist, attraktiv und begehrt. Sorry … aber das ist «bullshit» vom Gröbsten und übrigens auch für viele junge Männer ein ziemlicher Stress.
Dies kann dazu führen, dass man sich dauernd überfordert und sich Sexualität alles andere als gut anfühlt. Was längerfristig zur Folge haben kann, dass Sexualität immer schwieriger wird und man vielleicht irgendwann mal dann gar keine mehr haben möchte.
Eine weitere Verantwortung ist diejenige unseren Partnern gegenüber. Partnerschaften in denen wir im «Hier und Jetzt» respektvoll Orientierung über unsere Grenzen geben können, haben einen besseren Boden für gemeinsame Entwicklung.
Der nächsten Generation sollten wir vor allem vermitteln wie frau/mann:
- gut zu den eigenen Grenzen schaut
- Nein sagen kann, wo ein Nein angebracht ist
- sich selbst und den eigenen Körper so sehr liebt, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, gut zu sich Sorge zu tragen.
Mögliche Konsequenzen bei Grenzüberschreitungen
Gehe ich in einem ungesunden Ausmass über meine eigenen Grenzen, hat das verschiedene Konsequenzen:
- Andere Menschen verletzen meine Grenzen, weil …
– diese für sie nicht gut oder gar nicht spürbar sind
– sie spüren, dass sie «leichtes Spiel» haben - Das Vertrauen in sich selbst wird untergraben, weil man sich nicht sicher sein kann, Grenzen setzen zu können, wenn es nötig ist.
- Möglicherweise wertet man sich selber ab, weil man seine Grenzen nicht wahren kann und sich dadurch Situationen aussetzt, die als zutiefst beschämend erlebt werden können. Das untergräbt den Selbstwert massiv und schwächt einem noch mehr.
Konsequenzen in der Sexualität
- Der Körper versucht sich zu schützen und verspannt sich
- Man kann also körperlich weniger spüren und empfindet deswegen weniger Lust und Sinnlichkeit.
- Anstatt gute Erfahrungen zu machen, die einem nähren und bestärken, sammelt man negative Erfahrungen in der Sexualität.
- Die Lust an der Sexualität nimmt immer mehr ab (weil diese sich nicht gut anfühlt) und man versucht, so gut es halt geht, auszuweichen oder es über sich ergehen zu lassen.
Für eine erfüllende und entspannte Sexualität mit einem Gegenüber ist es unabdingbar auch Grenzen setzen zu können! Dadurch entsteht gegenseitiges Vertrauen + Sicherheit, so dass man sich sexuell entfalten kann.
Das Ziel: Selbstverständlich seine Grenzen wahren
Wenn ich als Frau Mühe damit habe Grenzen zu setzen, dann verschwindet das in der Regel nicht einfach von einem Tag auf den anderen. Aber es gibt Wege, wie ich das beschleunigen kann.
Mir scheinen folgende Dinge hilfreich:
- Mir eingestehen, dass es mir schwer fällt Grenzen zu setzen und erkennen, welche Konsequenzen das auf verschiedenen Gebieten für mich hat.
- Erkennen, wo ich mir selber nicht wirklich treu bin.
- Wenn ich das erkannt habe, mich nicht dafür zu verurteilen, sondern mir mit wohlmeinendem Mitgefühl und Geduld zu begegnen. Ich gestehe mir selber zu, dass solch ein tief liegendes Muster Zeit braucht, um es zu verändern. Immer wieder darüber zu stolpern ist kein Versagen, sondern ein Teil des Prozesses.
- Es braucht eine klare Entscheidung mich für das Thema «Grenzen setzen» zu engagieren, damit ich es immer besser kann und sich was ändert.
- Gemeinsam geht es oft besser als alleine. Mit Gleichgesinnten kann man sich gegenseitig wertschätzend unterstützen.
- Sollte ich merken, dass ich es nicht alleine auf die Reihe kriege, suche ich mir professionelle Unterstützung.
- Wenn Trauma ein Thema ist, welches deine Lebensqualität sehr einschränkt, dann lege ich dir eine Traumatherapie ans Herz. Diese kann dich dabei unterstützen dich und deine Grenzen immer besser zu spüren und handlungsfähiger zu werden
Es geht nicht darum, dass ich Grenzen setzen schon können muss,
sondern es zu üben, bis ich es immer besser kann!
Ich wünsche dir und uns allen, dass wir es immer besser schaffen.
Meine persönliche Empfehlung: Systemische Aufstellungen
Wenn es darum geht alte Muster möglichst rasch zu verändern, sind für mich (nach 18 Jahren Erfahrung als systemische Aufstellerin) systemische Aufstellungen die wohl tiefgreifendste und nachhaltigste Möglichkeit Veränderungen zu bewirken. Weshalb? Weil sie uns einerseits aufzeigen, wo die Wurzeln des Problems liegen und andererseits das innere (und immer wieder auch das äussere) System in eine gesündere Balance gebracht werden kann.
Verantwortung geht an den richtigen Ort zurück, Scham und Schuld können abgelegt werden und man kommt mehr in die eigene Kraft.
Systemische Aufstellungen haben eine tief transformierende Wirkung und ich kann sie für Veränderungsprozesse sehr empfehlen.
Falls es dich interessiert, findest du hier Feedbacks zu systemischen Aufstellungen und hier Informationen zur Methode.
Urheber und Quelle Fotos:
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